Zunächst wird es im Anschluss an Jan und Aleida Assmann in der Vorlesung um das Konzept des kollektiven Gedächtnisses von (westlich geprägten) Gesellschaften gehen: Welche Akteur*innen sind an seiner Entstehung beteiligt? Was und wer wird erinnert? Und auf welche Weise? Wie sich zeigt, sind bislang vor allem Männer* im kollektiven Gedächtnis dominant. Zudem wird meist nur Positives erinnert, d.h. bislang stellt das kollektive Gedächtnis häufig vor allem eine positive Selbstaffirmierung der eigenen nationalen Geschichte und Identität dar. Historisches Unrecht gegenüber anderen Gesellschaften (Kolonialismus, Kriegsverbrechen) oder gegenüber bestimmten Gruppen innerhalb der eigenen Gesellschaft (Sklaverei, Rassismus, Sexismus, Homophobie) wird dagegen kaum erinnert. Eine bedeutsame Ausnahme ist die Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland, die auch den Begriff des kollektiven Gedächtnisses geprägt hat. Anschliessend liegt der Schwerpunkt auf der Frage der Entstehung von kollektivem Unrechtsbewusstsein. Wie lässt es sich erklären, dass zuvor zur Normalität einer Gesellschaft gehörende Praxen und Vorstellungen nach und nach gesellschaftlich als Unrecht wahrgenommen werden? Wie sahen die gesellschaftlichen Prozesse aus, die z.B. im 19.Jh. zum Verschwinden des Duells geführt haben? Oder die Debatten in der Schweiz um die Einführung des Straftatbestands der Vergewaltigung in der Ehe? Abschliessend wird es um die Frage gehen, warum historisches Unrecht so selten Teil des kollektiven Gedächtnisses von Gesellschaften ist. Was bedeutet dies für die Gesellschaften? Welches Verständnis von Demokratie und von Verantwortung für das eigene kollektive Handeln impliziert das? Auch gilt es zu klären, wie historisches Unrecht, kollektive Schuld und Verantwortung bestimmbar sind. Und nicht zuletzt: Wie könnte eine produktive Form kollektiver Erinnerung an eigenes Unrecht aussehen? Hierzu werden im Verlaufe der Vorlesung verschiedene theoretische Ansätze und historische sowie aktuelle Beispiele herangezogen und kritisch diskutiert.
Lernziele
Vertiefte Kenntnisse zur Konzeption des kollektiven Gedächtnisses und zu historischen und aktuellen Debatten um die Frage gesellschaftlichen Unrechts. Einblicke in philosophische und rechtstheoretische Versuche zur Bestimmung kollektiven Unrechts. Exemplarisches empirisches und theoretisches Wissen um die Bedeutung von Geschlecht, Geschlechterverhältnissen in diesen Prozessen und Debatten.
Semester:
Stufe:
BA
Disziplinen:
Institutionen:
ETCS:
3
Fächer:
Gender Studies
Hochschultyp:
Universitäre Hochschulen (UH)