Prof. Dr. Nathalie Amstutz août 2018
Kann Diversity Management in Organisationen kritisch Diskriminierung, Chancenungleichheit und gar Machtverhältnisse thematisieren? Was kann der Ansatz in einer Organisation (die Hochschule, der Dienstleistungsbetrieb, das Industrieunternehmen) leisten? Gerade von Seiten der Geschlechterforschung bestehen Vorbehalte, was dessen kritisches Potential angeht: welche Probleme adressiert werden, was tatsächlich angegangen wird, welche Vorstellungen von Diversität mit dem Konzept geschaffen werden. Hier soll ein kurzer Blick auf diese Problematik gerichtet werden und ein paar Überlegungen zu Bedingungen der Kritik einer umsetzungspraktischen Gleichstellungsarbeit diskutiert werden.
Seit Beginn ihres Aufkommens in den 90er Jahren, werden Vorbehalte gegen Diversity Management formuliert – zu Recht (vgl. Zanoni et al. 2010; Danowitz 2012): Kritisch kommentiert werden vor allem der businessorientierte Diskurs im Wechsel von Geschlechtergleichstellungspolitiken zu Diversity Management: die Betonung bisher ungenutzter Potentiale der Mitarbeitenden, die dank Diversity Management genutzt werden sollen und so dem ‘Business Case’, der besseren Leistung der Organisation, zu Gute kommen sollen. An dieser Businessperspektive wird beanstandet, Diversität als grundsätzlich positives Versprechen zu konzipieren, das Nutzen bringt und Potentiale eröffnet. Befürchtet wird der Verlust einer kritischen Sicht als Voraussetzung, um Fragen der Macht, Ungleichheiten und Diskriminierung zu adressieren. Ebenso stellt sich die Frage, ob mit ‘Diversity’ voreilig ein Label über das komplexe Zusammenspiel von Differenzen gelegt wird, welches mit einem nutzenorientierten Managementansatz nicht adäquat zu bearbeiten ist. Das Verständnis etwa von Geschlecht, Ethnizität, Behinderung als sozial konstruierte, hierarchisierte, gesellschaftlich formierte Differenzlinien scheinen in Diversity Managmentansätzen zu problemlosen Identitäten re-essentialisiert und neu gesetzt zu werden. Dabei tendieren Problemanalysen und Handlungsansätze auf die individuelle Ebene zu fokussieren und die strukturelle Ebene der Organisation und ihre Prozesse zu vernachlässigen.
Hier scheint ein Gegensatz zwischen Geschlechterforschung, die sich inhärent als kritisch definiert und dem Managementansatz, der eine Organisationssicht einnimmt, vorprogrammiert zu sein.
Diversity Management als Lernprozess
Dieser Gegensatz ist allerdings um mehrere Aspekte zu ergänzen: Seit der Einführung erster Diversity Management-Ansätze in Organisationen der Schweiz in den 90er Jahren haben sich, gerade dank eines intensiven Austauschs von Forschung und Praxis die Vielfalt der Ansätze weiterentwickelt. Diversität & Gleichstellung sind in der Forschung nicht nur Gegenstand gesellschaftstheoretischer oder sozialpolitischer Arbeiten, ebenso werden – seit langem - mit den Critical Management Studies (z.B. Alvesson et al. 1999) oder – neuerdings – mit den Critical Diversity Studies (z.B. Bendl et al. 2015) organisationstheoretische Perspektiven eingenommen: Damit wird gerade die Tatsache, dass Organisationen der Kontext von Diversity Politiken bilden, in den Vordergrund gerückt. Diese Forschungsergebnisse betreffen die strukturelle Ebene von Organisationen wie die Arbeitsteilung oder Einstellungs-, Qualifizierungs- und Beförderungsprozesse, die Kommunikation wie auch die Sensibilisierung auf der individuellen Ebene. Die Essentialisierung der Dimensionen wird laufend infrage gestellt, etwa wenn Diversitypolitiken wie heute LGBTIQ in Diversitykonzepte aufgenommen werden und damit ein unhinterfragt heteronormatives Verständnis von Geschlecht revidiert wird. Diversity Managementansätze werden von der Öffentlichkeit und den Mitarbeitenden laufend reflektiert und überprüft – wenn auch nicht immer systematisch. Hier setzt der zweite Aspekt an: Die Mitarbeitenden stellen in ihrer Vielfalt nicht nur ein ‘Potential’ für den Profit des Betriebs dar, in ihrer Diversität verfügen sie über Erfahrungswissen, zu Fragen von Behinderung, sexueller Identität oder Alter zum Beispiel. Diese Expertise besteht in der Organisation und bildet eine weitere Ressource für Diversitykonzepte, die als reicher Wissensbestand der Organisation – potentiell – zur Verfügung steht.
Kritik in Organisationen: Ein schwerer Stand
Trotzdem stellt Kritik in Organisationen eine Herausforderung dar: Kann sie in der ‘institutionalisierten Form’ eines Diversity Management formuliert werden? Oder geht sie immer schon in der organisationalen Logik auf? Aus der Organisationsforschung wissen wir, dass Organisationen durch eigene Logiken und Routinen geprägt werden, die machtvolle Weichen stellen und Veränderung und Kritik einzugrenzen wissen. Das Diversity Management befindet sich in einer kniffligen Situation: Es soll kritisch Probleme der Organisation adressieren, die mit Fragen von Macht verbunden sind. Zugleich muss es dafür sorgen, dass die Ergebnisse dieser Kritik angenommen werden und Akzeptanz erlangen. Diese Position wird als ‘Paradox of Embedded Agency’ (Chapell 2009) bezeichnet, dem Paradox eingebundener Kraft (oder Handlungsmacht). Zudem ist es für Organisationen zentral – so eine These des organisationsbezogenen Neo-Institutionalismus – sich als rational auszuweisen. Im Bemühen um Ressourcen, Kundschaft und Kooperationen gilt es, die organisationale Professionalität unter Beweis zu stellen. Dazu werden zahlreiche Managementansätze eingeführt, unter anderem Diversity Management als Antwort auf die gesellschaftliche Erwartung gleichstellungsorientierter, moderner und fairer Organisationen. Diversity Management kommt auch die Funktion zu, die Rationalität der Organisation hinsichtlich Gleichstellung gegen Aussen und Innen auszuweisen und so zu legitimieren (Funder 2017; Amstutz et al. 2018). Es liegt auf der Hand, dass diese verschiedenen Rollen, die das Diversity Management innehat, konfligieren. Ist deshalb eine kritische Position gar nicht erst leistbar?
Hochschulen: Kritikfähig
Die Geübtheit von Organisationen im Umgang mit Kritik unterscheidet sich stark je nach Organisationskultur. Diese ist geprägt von ihrer Geschichte, ihrer Tradition, den Kooperationen, die sie tätigt, aber auch von ihrem Produkt, das gerade in einem Feld spezifischer Gepflogenheiten, Erwartungen und Selbstverständlichkeiten entsteht. Das Produkt der Hochschulen ist Wissen, kritische Reflexion eine ihrer Methoden, insofern haben Hochschulen eine ausgezeichnete Voraussetzung, um ihr Diversity Management einzuladen, kritische Befunde zu teilen und darüber in eine Diskussion zu treten. Hochschulen verfügen ausserdem nicht nur über das Erfahrungswissen ihrer Mitarbeitenden zu Fragen der Diversität, sie haben mit ihrem jeweiligen Diversity Management und der Forschung Zugang zu Studienergebnissen wie auch die Expertise im Haus. Kritik ist nun, wie Judith Butler in ihrem Essay «Was ist Kritik?» (2009) formuliert, nicht in erster Linie normativ zu verstehen, im Sinne von ‘das und jenes müsste sein’. Dies wäre nach Butler eine enge Auffassung von Kritik, die nur in Bezug auf etwas Anderes als sie selbst existiert. In einem weiteren Verständnis geht es darum, einen Begriff von Kritik vorzuschlagen, der seine eigene Wandelbarkeit mitbeinhaltet. Das bedeutet, dass Kritik dann «die Form einer Frage» annimmt und «ein Recht zu fragen geltend» macht. Die Eingebundenheit des Diversity Management in organisationale Logiken ist Teil seiner Bedingung und dem Konzept nicht anzulasten. Eher stellt sich die Frage, inwieweit das «Recht zu fragen» in der Organisation gepflegt wird. Welche Themen, Probleme und Lösungsansätze mit Blick auf Diversität diskutiert werden, definiert nicht das Diversity Management allein, sondern die Organisation und seine Mitglieder gestalten diesen Spielraum für Kritik in der Organisation. Die Herausforderungen für das Diversity Management, in der Organisation Fragen von Diskriminierung, Chancengleichheit, Zugang zu Ressourcen und Verteilung von Macht zu adressieren, Handlungsbedarf zu formulieren und Lösungen vorzuschlagen sind durch dessen Einbettung und Abhängigkeit von der Hierarchie geprägt. Die Frage jedoch, ob Diversity Management kritisch sein kann oder nicht, ist nicht pauschal zu beantworten. Diversity Management kann kritisch sein unter der Bedingung, dass die Organisation sich dieser Aufgabe des Managementansatzes bewusst ist. Dazu gehört den Auftrag, den die Organisation an das Diversity Management formuliert, zu diskutieren. Diversity Management kann somit erst kritisch sein, wenn die Organisation sich um eine partizipative Kultur bemüht, das Erfahrungswissen der Angehörigen der Organisation einbezieht und einen laufenden Kompetenzaufbau fördert, der an den neuen Forschungsergebnissen anknüpft. Das birgt das Risiko, hinterfragt zu werden. Wie das bei guter Kritik der Fall ist. Wer sollte das pflegen, wenn nicht die Hochschulen?
Bildnachweis: Mirta Toleda: Diversidad Pura (1993), Mixed Media on Cotton Paper, Wikimedia Commons.
Date de publication:
27 août 2018
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Prof. Dr. Nathalie Amstutz