Anna Sommer maggio 2019
Anna Sommer hat ihrer Mutter Silvia Sommer, die 1991 aktiv am Frauen*streik beteiligt war, eine Reihe von Fragen gestellt. Daraus hat sich ein sehr persönliches Gespräch über Feminismus, Familie und politisches Engagement ergeben.
Silvia Sommer ist Gärtnerin, Feministin, Radiofrau, Koordinatorin, Managerin, Sängerin, Übersetzerin, Köchin, Ethnologin, Handwerkerin, Betreuerin, Strategin, Aktivistin – und meine Mutter.
Was hast du am 14. Juni 1991 gemacht?
Gestreikt natürlich! Ich habe ja damals im Sekretariat in der Schule gearbeitet, glücklicherweise war die Schulleiterin auch eine Feministin, ich musste daher nicht dafür kämpfen, am Streik teilnehmen zu dürfen.
Wie wurdest du damals auf den Streik aufmerksam? Waren Frauenrechte und Feminismus ein wichtiges Thema Anfang der 1990er-Jahre?
Der Frauenstreik war schon Monate vor dem 14. Juni ein Thema. In den 1980er-Jahren erreichten feministische Anliegen immer mehr Aufmerksamkeit, in der Gesellschaft und in der Politik. Wir haben in der PdA (Partei der Arbeit) eine Frauenthemengruppe gegründet, in welcher die diskutierten Themen ausschliesslich von den Frauen vorgegeben wurden. Die Themengruppe dominierte eine lange Zeit die Parteisitzungen, Dreiviertel der Sitzungszeit waren für unsere Themen reserviert und die Männer mussten mitdiskutieren, wenn sie an den regulären Sitzungen teilnehmen wollten. Wir haben zum Beispiel zusammen eine riesige Collage zum Thema sexistische Werbung erstellt, da haben die Männer mitgemacht und geholfen! Wir waren also alle bereits sehr sensibilisiert für die feministischen Anliegen, und als Christiane Brunner vom SMUV (Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband) das Thema Streik in die Gewerkschaften getragen hat, waren wir mehr als bereit, dafür zu kämpfen. Es nahm dann auch die ganze PdA am Streik teil, wir hatten mehrere Transpis mit Forderungen zur Mutterschaftsversicherung und zur Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes. Der Gleichstellungsartikel war ja schon seit zehn Jahren in der Bundesverfassung und für die Realisierung des Mutterschaftsurlaubes mussten wir noch bis 2004 warten! Zur Mutterschaftsversicherung gab es auch schon vor dem Streik immer wieder Demonstrationen und Aktionen. Einmal haben wir eine Wäscheleine mit Windeln, auf jeder Windel ein Buchstabe, durch die Stadt getragen: «Mutterschaftsversicherung Jetzt!». Für mich waren das die wichtigsten beiden Forderungen: die Umsetzung des Gleichstellungsartikels und die Mutterschaftsversicherung. Die dritte wichtige Forderung war die nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Aber es haben ja auch so viele Frauen demonstriert, die keiner Lohnarbeit nachgingen, und da ging es mehr um Anerkennung dafür, dass auch Haus- und Betreuungsarbeit als Arbeit anerkannt wird.
Wie hast du gestreikt? An welchen Aktionen und Protestformen hast du teilgenommen?
Wir sind von verschiedenen Orten aus sternförmig auf den Bundesplatz zumarschiert. Die Demonstration war nicht bewilligt, weil auf dem Bundesplatz zum gleichen Zeitpunkt die Feier zu 700 Jahren Eidgenossenschaft stattfand, mit Staatsempfang, Gittern und grossem Polizeiaufgebot. Es wurde zwar nicht ausgesprochen, aber wir wollten die Gitter entfernen und auf dem Bundesplatz demonstrieren. Sie mussten dann den Bundesplatz aufgeben und öffnen, weil die Frauen in Scharen auf den Platz marschiert sind. Wir haben einen Riesenlärm mit Trillerpfeifen gemacht. Nicht mit Pfannendeckeln, das waren immer eher die rechten Frauen… Wir sassen auf dem Bundesplatz am Boden, und Christiane Brunner hat eine Rede gehalten – ich weiss aber leider nicht mehr, ob mit Mikrophon oder Megaphon.
Viele Frauen haben damals aus ganz persönlichen Gründen gestreikt: nämlich, weil die Verantwortung für die gesamte Haus- und Bereuungsarbeit auf ihren Schultern lastete und sie für ihre Arbeit kaum Anerkennung erhielten. Sie streikten für eine faire Aufteilung der Aufgaben. Sehr viele Frauen aus ländlichen Gegenden haben auch gestreikt, Bäuerinnen zum Beispiel. Das ist ja heute auch immer noch ein Thema.
Welches waren für dich die wichtigsten Forderungen des Streiks?
Ich selbst habe vor allem aus politischen Gründen gestreikt: Mutterschaftsversicherung, Gleichstellungsgesetz und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Wir haben die Mutterschaftsversicherung mit dem Sold der Soldaten verglichen: die erhielten ja auch eine Entlohnung für ihren Dienst, warum also die Mütter nicht?
Die Forderung nach gerechterer Aufteilung von Erwerbs- und Haus- respektive Betreuungsarbeit hat in meinem Leben eine weniger grosse Rolle gespielt, weil wir als Familie dieses Modell von Anfang an lebten.
Eine wichtige heutige Streikforderung ist ja auch der Schutz von sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung, war das vor 28 Jahren auch schon ein Thema?
Eher weniger, das haben wir noch nicht so richtig gewagt. Weisst du, damals war zum Beispiel Vergewaltigung in der Ehe noch kein Offizialdelikt! Es gab aber schon Frauengruppen, die sich gegen Gewalt eingesetzt haben, allerdings eher im Rahmen von Organisationen und privaten Initiativen, weniger auf politischer Ebene.
Siehst du Unterschiede in den Streikforderungen von 2019 von denjenigen von 1991?
Die Gewaltfrage ist sicher präsenter heute, dass wir dezidiert gegen Gewalt an Frauen und gegen Sexismus demonstrieren. Ansonsten sind die Forderungen ja erschreckend ähnlich. Das macht mich auch einfach immer wieder traurig. Wenn ich denke, dass schon in den Jahrhunderten vor uns Frauen denselben Kampf geführt haben, muss man ja fast annehmen, dass unser heutiger Kampf auch noch ein paar Jahrhunderte dauern wird. All meine frauenpolitischen Bücher aus den 80ern, als wir die in der PdA zusammen gelesen haben, dachten wir noch: «Jetzt haben wir’s dann gleich, es braucht nicht mehr viel!» Und jetzt gehen wir wieder mit denselben Themen auf die Strasse. Auch die 68er- und 80er-Bewegungen haben gemeint, sie könnten mit Demos und Aktionen die Welt verändern. In der alltäglichen Realität braucht einen längeren Atem, um diese Veränderungen in Gesellschaft und Politik tatsächlich umzusetzen. Wobei all diese Bewegungen ja auch vieles bewirkt haben, es braucht einfach alles sehr viel Geduld und Zuversicht.
Die Veränderungen müssen ja auch verschiedenen Ebenen von statten gehen, habt ihr damals auch schon mehr Frauen in der Politik und anderen Entscheidungsämtern gefordert?
Nein, weisst du, wir waren doch noch total euphorisch, dass wir überhaupt endlich das Stimmrecht erhalten haben, soweit waren wir noch gar nicht. In vielerlei Hinsicht waren das ja erst die Anfänge. Heute haben wir klarere, präzisere, selbstsicherere Forderungen, die viel weitergehen. Weil wir heute wissen, dass uns das alles auch zusteht. Und das ist gut so.
Warst du aktiv an der Mobilisierung für den Streik von 1991 beteiligt? Wie hat die Mobilisierung damals funktioniert?
Das lief alles vor allem schriftlich, wir hatten noch kein gut funktionierendes Internet oder Soziale Medien. Daher lief die Mobilisierung über Versände, Mund-zu-Mund-Propaganda und Telefon. Wir haben auf der Strasse und unter Freundinnen Flyer verteilt. Zum Glück hat die Mobilisierung schlussendlich sehr gut funktioniert!
Heute gibt es wieder vermehrt antifeministische Tendenzen, in den Medien, im Internet und als Hate Speech. Und auch konkrete, physische Gewalt an LGBTIQ*. Hattet ihr Angst vor Repressionen – auf der Strasse, in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz oder gar in der Familie?
Nein, ich eigentlich nicht. Ich hatte aber schon Angst, eine Riesenangst, davor, dass keine oder zu wenig Frauen am Streik teilnehmen! Und dann waren es Hunderttausende und die Mobilisierung ein Riesenerfolg!
Wie kamen die Anliegen des Streiks bei deinen Freund*innen und in deiner Familie an?
Meine Freundinnen haben sich alle auch am Streik beteiligt, meine Schwestern waren eher weniger interessiert an unseren Anliegen. Aber meine Schwiegermutter hat mich verstanden. Sie nahm zwar nicht am Streik teil, aber sie hat meine Anliegen immer unterstützt, als Kämpferin für das Frauenstimmrecht. Meine eigene Mutter hat die Forderungen leider nicht verstanden.
Wer hat eigentlich während des Streiks zu mir und meiner Schwester geschaut? Hat sich in unserem Familienleben aufgrund des Streiks etwas verändert?
Euer Vater hat zu euch geschaut, und ihr wart ja in der Schule. Das war aber alles andere als aussergewöhnlich, er hat mich immer unterstützt, wenn es um politische Arbeit ging. Und er war ja politisch genauso engagiert wie ich. In unserer Familie hat sich aufgrund des Streiks eigentlich nichts verändert, weil wir ja immer alles geteilt haben, jede Arbeit. Wirklich, von Anfang an, immer.
Hat sich an deinem Arbeitsplatz für dich etwas verändert nach dem Streik?
Eigentlich nicht, aber mein Arbeitsplatz war ja sowieso in Frauenhand.
Sind wir heute in Bezug auf Gleichstellung weiter als vor 28 Jahren? Was läuft heute besser? Und wo haben wir Rückschritte gemacht?
Wir haben viele Fortschritte in Sachen Gleichstellung gemacht, verglichen mit vor 28 Jahren. Aber ganz vieles ist immer noch nicht verwirklicht. Angst vor Rückschritten hatte und habe ich immer. Als ihr beiden Teenies wart, war das zum Beispiel eine grosse Herausforderung für mich. Ich hatte das Gefühl, es interessiert euch überhaupt nicht, ob ihr die gleichen Rechte wie die Männer habt, ihr habt euch nur für Partys und sexy Kleidung interessiert, wolltet schön sein und gefallen. Wir haben das heftig diskutiert, und eure Forderung war, dass ihr eben beides dürft, schön sein und gleichberechtigt.
Stimmt, ich kann mich noch gut an unsere Auseinandersetzungen erinnern! Mich haben diese Diskussionen sehr politisiert, weil mir durch deine Skepsis bewusst wurde, dass dieses Anliegen offensichtlich nicht selbstverständlich ist. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und auch mein Verhalten beeinflusst.
Und ich habe euch zugehört und habe euch dadurch verstanden und unterstützt. Ich habe versucht, euch nicht vorzuschreiben, wie ihr euch anziehen sollt. Aber es ist mir nicht leichtgefallen, dieses Vertrauen zu haben.
Wie findest du die zeitgenössischen Aktionen und Protestformen gegen Sexismus wie z.B. #metoo? Sind sie wirklich so anders als in den 90er-Jahren?
Das finde ich super, #metoo war eine sehr mutige Aktion und für mich eine dringend nötige Form der Notwehr. Abgesehen von der Kommunikationsform sind die Protestformen eigentlich ziemlich ähnlich, aber die Haltung dünkt mich viel selbstsicherer heute, die Frauen sind sicherer geworden und ihre Anliegen haben mehr Raum.
War es ein schwieriger Prozess für dich, eine Feministin zu werden (und zu sein)?
Das war ein sehr langer Prozess, der wahrscheinlich in meiner frühen Kindheit begann, als ich realisierte, dass ich nicht dieselben Dinge tun darf, wie die Buben in der Nachbarschaft. Nach und nach verstand ich, dass diese Ungleichheit nicht mein Verschulden oder das meiner Familie war, sondern das Problem in der patriarchalen Gesellschaft lag, und dass ich mich dagegen wehren muss und kann. Mit der politischen Arbeit bei der PdA wurden dann mein Kampf und mein Verständnis politisch und ich habe mich bald als Feministin bezeichnet. So richtig politisiert wurde ich während meines Aufenthalts in London, weil ich dort so viel Ungleichheit sah – zwischen Geflüchteten und Engländer*innen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Weissen und PoC. Ich verkehrte oft im Africa Center und lernte viel über globale Ungleichheiten und Mehrfachdiskriminierungen. Und ich habe den Morning Star (sozialistische, britische Tageszeitung) verschlungen, den es in jeder Gasse zu kaufen gab!
Wie hast du mich und meine Schwester zu Feministinnen erzogen?
Das war nicht meine Erziehung, ihr seid von selbst Feministinnen geworden. Ihr habt gemerkt, dass unsere Gesellschaft nicht gerecht ist. Du kannst deinen Kindern keine politische Einstellung aufzwingen, wenn sie das nicht wollen.
Was hältst du davon, dass es nun wieder einen Frauen*streik gibt?
Das finde ich super und unbedingt notwendig. Es sind noch lange nicht alle Forderungen erfüllt und der Streik 2019 ist genauso wichtig wie er es 1991 war.
Wirst du nochmals streiken am 14. Juni 2019?
Aber natürlich, ich freue mich darauf! Ich hoffe, dass viele Frauen vom gemeinsamen Erlebnis profitieren und Selbstsicherheit gewinnen können. Und dass sich Netzwerke und Öffentlichkeit für unsere Anliegen bilden. Diese gemeinsamen Erlebnisse sind unglaublich wichtig, es ist nichts so bestärkend, wie wenn du siehst, dass du nicht alleine bist. Eine meiner wichtigsten Erinnerungen an den Streik 1991 ist die Erinnerung an dieses wahnsinnig starke Gemeinschaftsgefühl. Ich war erstaunt und auch ein bisschen stolz darauf, dass für mich das Streiken eine solche Selbstverständlichkeit war. Ich komme ja aus einfachen Verhältnissen, und ich bin einfach nur froh, dass ich dazugehöre.
Es ist mir auch heute noch immer sehr wichtig, dass wir nicht vergessen, dass der Kampf für eine gerechtere Gesellschaft und gegen das Patriarchat ein internationaler ist. Wir müssen versuchen, alle Formen von Diskriminierungen zu erkennen und uns solidarisch mit allen Betroffenen dagegen zu wehren.
Date di pubblicazione:
29 maggio 2019
Soggetto:
Autrice/autore:
Anna Sommer