Verfechter der «offenen Gesellschaft» betrachten den liberalen Kapitalismus als das effektivste Bollwerk gegen totalitäre Tendenzen. Dieser liberale Konsens ist seit dem Zweiten Weltkrieg zur Leitdoktrin westlich-kapitalistischer Gesellschaften geworden. Heute sehen wir uns jedoch mit offen autoritären Mitteln konfrontiert, auf die zurückzugreifen sich der krisengeschüttelte Kapitalismus der Gegenwart gezwungen sieht: Fortlaufende Krisen führen zu einer massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung, die von dieser nicht einfach so hingenommen werden. Gesellschaftliche Verwerfungen tun sich auf. Autoritäres Management folgt.
Illiberale Krisenbewältigungsstrategien scheinen somit der Dynamik des liberalen Kapitalismus selbst zu erwachsen. So schrieb Herbert Marcuse bereits in den 1930er Jahren: «Es ist der Liberalismus selbst, der den total-autoritären Staat aus sich ‹erzeugt›: als seine eigene Vollendung auf einer fortgeschrittenen Stufe der Entwicklung.»
Das Seminar widmet sich zunächst der Krisendynamik des Kapitalismus und somit der Aktualität dieser Aussage Marcuses. Von hier ausgehend wird eine zentrale Frage sein, welche Formen der für die Krisenbewältigung notwendige Autoritarismus in der Gegenwart annimmt.
Das Seminar gliedert sich in drei thematische Schwerpunkte.
1. Heimliche Liaison: Liberalismus und Totalitarismus
Zu Beginn betrachten wir die widersprüchliche Verstrickung des Liberalismus in illiberale, oftmals offen antidemokratische Strömungen (F. A. Hayek) und deren libertäre Ausformung in der Gegenwart (Q. Slobodian).
2. Finanzkapitalismus: Gründe und Formen der Krise
Anhand der Schriften von Robert Kurz und Fabio Vighi (Unworkable, 2022) vertiefen wir uns in die Natur der gegenwärtigen Krisen, die allgemein unter dem Stichwort «Finanzkapitalismus» verhandelt werden und versuchen zu verstehen, warum diese Krisen nicht mehr im Rahmen liberaler Demokratien zu bewältigen sind.
3. Der globale Biosecurity-Staat als neue totalitäre Form
Anhand von Simon Elmer und Maurizio Lazzarato untersuchen wir die sich weltweit abzeichnenden neuen Formen des «Regierens», die uns an die «Neue Normalität» eines permanenten Ausnahmezustandes gewöhnen sollen.
Das Feministische Leseseminar knüpft an eine langjährige Tradition von gesellschaftstheoretisch-marxistischen Seminaren für Frauen an und richtet sich daher nur an Frauen. Auch wer bisher noch wenig oder keine Erfahrung im Umgang mit theoretischen Texten hat, aber an den genannten Themen interessiert ist, ist willkommen. Das Seminar versteht sich als Leseseminar, alle Texte liegen auf Deutsch vor und werden als Reader bereitgestellt.
Seminardaten
Do 09./23.01.2025
Do 06./27.02.2025
Do 13./27.03.2025
Do 10./24.04.2025
Do 15.05.2025
Do 05.06.2025
Jeweils 19.00 bis 21.30 Uhr
Da die Sitzungen aufeinander aufbauen, kann das Seminar nur als Ganzes belegt werden.
Leitung
Dr. phil. Tove Soiland, Historikerin und feministische Theoretikerin
Verantwortung
Dana Sindermann, Leiterin Fachbereich Wirtschafts- und Sozialethik, Paulus Akademie
Unkostenbeitrag
CHF 300.-/200.-* für das gesamte Seminar
* für Mitglieder Gönnerverein Paulus Akademie, AHV/IV-, KulturLegi oder Studierenden-Ausweis
Aus organisatorischen Gründen bitten wir um Anmeldung bis 06.01.2025.
When:
23 January 2025, 07:00 pm – 05 June 2025, 09:30 pm
Where:
Paulus Akademie, Pfingstweidstrasse 28, 8005 Zürich
Themes:
Disciplines: