Vom Antifeminismus zum ‹Antigenderismus› – Eine zeitdiagnostische Betrachtung am Beispiel Schweiz.
Von Beginn an war Feminismus als ein bedeutsamer Akteur in den Auseinandersetzungen um die Entwicklung westlicher bürgerlich kapitalistischer
Gesellschaften von heftigen Polemiken begleitet. Kritik am Feminismus ist mithin kein neues Phänomen, vielmehr konstitutiver Teil seiner Geschichte; ebenso die (selbst-)kritische Reflexion dieser Angriffe. So fanden beispielsweise in der Schweiz im Rahmen der langen Kämpfe um das Frauenstimmrecht seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich antifeministische Mobilisierungskampagnen statt, die nicht unwesentlich zur späten Einführung des Frauenstimmrechts (erst 1971) beigetragen haben. Auch in den letzten Jahren ist es zu zahlreichen antifeministischen Anfechtungen gekommen. So fordert die Schweizerische Volkspartei (SVP), derzeit stärkste Regierungspartei der Schweiz, regelmäßig die Abschaffung der Fachstellen für Gleichstellung in verschiedenen Kantonen und die Organisation IG Antifeminismus drängt auf die Auflösung der Frauenhäuser. Weitere Vorstöße richten sich gegen die Aufnahme von historischen Frauenfiguren in den Pflichtstoff an Schulen5 oder verlangen, wie die Initiative »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache«, die Selbstfinanzierung von Abtreibungen. Bei aller Konstanz derartiger Angriffe sind jedoch auch Veränderungen in den Argumentationsmustern zu beobachten. Vor allem lässt sich – so unsere These – seit den 1990er Jahren eine Verschiebung von antifeministischen zu sogenannten ›antigenderistischen‹ Diskursen feststellen. Diese richten sich im Unterschied zum klassischen Antifeminismus nicht mehr primär gegen die Frauenbewegung und ihre Forderungen und Errungenschaften, sondern gegen die Geschlechterforschung und insbesondere das mit dem Gender-Begriff verbundene dekonstruktivistische Verständnis von Geschlecht. In ihrer
Diskreditierung als Ideologie, als ›Genderismus‹, findet, wie wir im Weiteren zeigen werden, eine Art (neuer) Kulturkampf um die Entwicklung der Gesellschafts- und Geschlechterverhältnisse statt. Dabei werden unter dem Label der Wissenschaftskritik verschiedene anti-emanzipatorische Positionen auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft (wieder) artikulierbar. Diese Verschiebung bedeutet jedoch nicht, dass der Antifeminismus nun durch den ›Antigenderismus‹ ersetzt würde; beide sind weiterhin eng mitein-ander verwoben und in Texten oft gleichzeitig präsent. Es findet jedoch eine deutliche Akzentverschiebung in der Argumentationsweise statt. Solche vermehrt ›antigenderistischen‹ Diskurse lassen sich in der Schweiz vor allem in rechts-konservativen Leitmedien wie die Weltwoche und Basler Zeitung (BaZ) beobachten. Beide sind breit rezipierte Printmedien, die eng mit der bereits genannten rechts-konservativen Regierungspartei SVP verbunden sind und eine dominante Rolle in der Schweizer Öffentlichkeit spielen. Einzelne Artikel finden sich jedoch auch in liberalen Medien wie der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Des Weiteren wird die diskursive Verschiebung deutlich an politischen Vorstößen der SVP zur Abschaffung der Gender Studies an den Universitäten sowie in Verlautbarungen und Initiativen von christlich-fundamentalistischen Gruppierungen (Zukunft CH oder Bündnis Christliche Schweiz), ebenso in Stellungnahmen von einflussreichen kirchlichen Vertretern wie dem Churer Bischof Silvio Huonder. Diese verstärkte Fokussierung auf die Geschlechterforschung werden wir im Folgenden anhand von drei signifikanten ›antigenderistischen‹ Argumentationsmustern näher betrachten: erstens das am Gender-Begriff festgemachte Bedrohungsszenario der Vervielfältigung und der Homo-Sexualisierung, zweitens die Warnung vor ›genderistischer‹ Gleichmacherei und Umerziehung sowie drittens die Diskreditierung der Geschlechterforschung durch die Unterstellung der Realitätsverweigerung und Unwissenschaftlichkeit. Dabei werden wir den gesellschaftspolitischen Dissens genauer ausloten, der sich in den Angriffen artikuliert: Welche Lebens- und Denkweisen werden hier so heftig bekämpft und auf welchen so vehement insistiert? Abschließend werden wir einige zeitdiagnostische Überlegungen zur gesellschaftlichen Bedeutung dieser Verschiebung formulieren. So gilt es zu klären, weshalb gerade jetzt diese Form der Kritik an Wissenschaft formuliert wird und welcher Art der Konnex von Macht, Wissen und Wahrheitspolitik in diesem Fall ist. Unsere zentrale These ist, dass die ›antigenderistischen‹ Diskurse Ausdruck einer wachsenden Polarisierung in den Auseinandersetzungen um den (neoliberal transformierten) Erhalt bzw. die emanzipatorische Überwindung der traditionellen Gesellschafts- und Geschlechterordnung in der Schweiz sind. Gerungen wird um die Definitionsmacht über deren zentrale Eckpfeiler Geschlecht und Sexualität, Familie und Nation sowie um die Bedeutung von Normen wie Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit. Die Geschlechterforschung rückt darüber hinaus, wie sich zeigen wird, auch deshalb in den Fokus der Auseinandersetzungen, weil sie nicht nur das Fortbestehen männlicher Suprematie und die mit ihr verbundenen Macht- und Herrschaftsmechanismen wissenschaftlich detailliert aufzeigt, sondern diese auch infrage stellt und damit ihre Legitimation gefährdet.
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German
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Bielefeld
Year:
2015
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Research labels:
Anti-gender – anti-feminism
Subjects:
Gender Studies
Genres:
Article