Elena Erni, Dr. Carole Ammann Oktober 2023
Regenbogenfamilien rückten im Vorfeld der Abstimmung ‘Ehe für alle’ vermehrt ins Zentrum Deutschschweizer Medienberichterstattung. In diesen Artikeln wurde häufig über die Akzeptanz von Regenbogenfamilien in der Gesellschaft und die Beziehung zwischen den Kinder und ihren (nicht) biologischen Eltern geschrieben. Generell wurde in den analysierten Artikeln mit Wohlwollen und Offenheit über Regenbogenfamilien berichtet, gleichzeitig reproduzierten sie normalisierende Vorstellungen von Familie, nämlich der heterosexuellen, cis-geschlechtlichen Kleinfamilie.
Regenbogenfamilien in der Schweiz
Es ist unklar, wie viele Kinder in der Schweiz in sogenannten Regenbogenfamilien aufwachsen. Unter Regenbogenfamilien werden Familien mit mindestens einem LGBT*IQA+ Elternteil verstanden. LGBT*IQA+ steht für lesbisch, schwul (gay), bisexuell, trans*, intersexuell, queer und asexual, also für Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität als Minderheit gelten. Im Jahr 2020 schätzte das Bundesamt für Statistik die Anzahl von Schweizer Haushalten mit Kindern (unter 25 Jahren) mit gleichgeschlechtlichen Eltern auf 0.1%. Diese Zahl ist jedoch mit grösster Vorsicht zu geniessen, da sie auf einer Extrapolation von wenigen Fällen beruht. Zudem umfasst diese Angabe lediglich Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern und repräsentiert daher nicht die grosser Vielfalt an Regenbogenfamilien in der Schweiz. LGBT*IQA+ Personen werden entweder mittels Samenspende, Adoption, Pflegkindschaft, trans*-Schwangerschaft oder Leihmutterschaft Eltern. Sie können auch Kinder aus ehemaligen (oder immer noch bestehenden) heterosexuellen Beziehungen haben oder eine Co-Elternschaft-Familie bilden, also eine Elternschaft mit zwei oder mehr Erwachsenen, die nicht auf einer romantischen Beziehung fusst.
2018 wurde in der Schweiz die Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare freigegeben. Seither können Kinder somit rechtlich zwei gleichgeschlechtliche Elternteile haben. Seit der Einführung der „Ehe für alle“ per Juli 2022 können gleichgeschlechtliche Paare auch gemeinsam Kinder adoptieren. Zudem können bei Kindern, die mittels einer Samenspende einer Schweizer Samenbank entstanden sind, ab der Geburt beide gleichgeschlechtlichen Elternteile rechtlich als Eltern anerkannt werden. Gleichgeschlechtliche Eltern, die ihr Kind durch private Samenspende, Samenspende einer ausländischen Samenbank oder Leihmutterschaft (im Ausland) gezeugt haben, können weiterhin erst nach einem Jahr den Prozess der Stiefkindadoption starten. Der Dachverband Regenbogenfamilien fordert, dass auch in diesen Situationen bereits ab Geburt zwei Elternteile rechtlich anerkannt werden. Eine entsprechende Motion wurde im Dezember 2022 im Parlament angenommen. Leihmutterschaft ist in der Schweiz verboten – sowohl für cis-heterosexuelle, wie auch für LGBT*IQA+ Wunscheltern – und auch die Mehrelternschaft ist rechtlich nicht anerkannt.
In öffentlichen Debatten um Regenbogenfamilien versuchen insbesondere rechte, christliche Kreise immer wieder, das Kindeswohl zum Thema zu machen. Kürzlich lancierte die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) eine Werbekampagne in Anspielung an den Pride-Monat Juni mit dem Slogan „Vater, Mutter, Kind. Ein Leben lang #pride“. Die Gegner*innen der Abstimmung „Ehe für alle“ argumentierten, dass Bezugspersonen beider Geschlechter zentral für die Identitätsbildung von Kindern seien. Zahlreiche internationale Studien konnten jedoch aufzeigen, dass Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern im Vergleich zu Kindern mit verschiedengeschlechtlichen Eltern keine Unterschiede bezüglich ihrer Entwicklung aufweisen. Hingegen können Stigmatisierungserfahrungen einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Kindern aus Regenbogenfamilien haben. Solche Stigmatisierungserfahrungen betreffen nicht nur Kinder, sondern auch ihre Eltern. So etwa veröffentlichte Olivier Borer, Sportmoderator bei SRF, im Mai 2023 online Hasskommentare, die er erhalten hatte. Borer und sein Mann wurden vor einigen Monaten Eltern, wofür sie Leihmutterschaft in Anspruch genommen hatten.
Repräsentation von Regenbogenfamilien in Deutschschweizer Medien: Ein Überblick
In ihrer Bachelorarbeit am Geographischen Institut der Universität Bern untersuchte Elena Erni, wie Regenbogenfamilien im Zeitraum der Abstimmung „Ehe für alle“ in Deutschschweizer Medien dargestellt wurden. Betreut wurde die Arbeit von Dr. Carole Ammann, welche schon länger zu GBT*IQA+-Elternschaft in der Schweiz und den Niederlanden forscht. Bei den 20 analysierten Artikeln, in denen Regenbogenfamilien im Zentrum standen, konzentrierten sich drei Viertel auf gleichgeschlechtliche Eltern. Dabei handelten neun Artikel von lesbischen Eltern, sechs von schwulen Eltern (wobei eine Beziehung aus drei Männern bestand) und ein Artikel von einer polyamoren Beziehung, bestehend aus zwei Männern und einer Frau. Drei der untersuchten Artikeln befassten sich mit trans* Eltern und ein Artikel behandelte Familiennormen im Allgemeinen und thematisierte diverse Familienformen, wobei homosexuelle Elternpaare im Fokus standen (vgl. Abb. 1).
In fünf Artikeln ging es um Kinder aus ehemaligen heterosexuellen Beziehungen, in zwei um Kinder, die vor der Änderung des Geschlechts eines Elternteils geboren wurden. Vier Artikel handelten von Kindern, die mittels Samenspende entstanden sind – drei Mal im Ausland, einmal durch eine private Samenspende in der Schweiz. In drei Artikeln wurden Regenbogenfamilien porträtiert, die ihre Kinder adoptiert hatten und ein Artikel schriebt über ein Kind, das in einer polyamoren drei-Eltern Familie lebte. In vier Artikeln wurde nicht auf die Art der Zeugung eingegangen (vgl. Abb. 2).
Alle Artikel nahmen gegenüber Regenbogenfamilien und hinsichtlich der Abstimmung „Ehe für alle“ eine positive Haltung ein. Sie präsentierten zwar meistens auch die Argumente der Gegenseite, jedoch tendenziell als Aufhänger für ihre Berichte über Regenbogenfamilien, die fast alle auf einem Familienportrait basierten. Das am häufigsten angesprochene Thema war die gesellschaftliche Akzeptanz von Regenbogenfamilien, also positive und negative Erfahrungen der Eltern oder ihrer (erwachsenen) Kindern im Alltag. In der Hälfte der analysierten Artikel wurde die Beziehung der Kinder zu den (nicht) biologischen Eltern thematisiert. Ebenfalls in der Hälfte der Berichterstattungen wurde explizit oder implizit die normative Idee reproduziert, dass eine Familie aus zwei heterosexuellen, cis-geschlechtlichen Eltern zu bestehen habe. Die Abstimmung „Ehe für alle“ und die damit einhergehenden rechtlichen Veränderungen sowie die Unterschiede zur eingetragenen Partnerschaft wurden ebenfalls vielfach angesprochen. Weitere häufige Themen waren der Aktivismus der portraitierten Personen, das durch die Abstimmungsgegner*innen hervorgebrachte Argument des Kindswohl, ob Kinder über ihre Herkunft Bescheid wissen, sowie die rechtliche Anerkennung aller Elternteilen.
Die Ambivalenz von Sichtbarkeit und Normalisierung
In den analysierten Medienberichten wurde grundsätzlich das Leben der Regenbogenfamilien so dargestellt, als unterscheide es sich nicht von Familien mit zwei heterosexuellen, cis-geschlechtlichen Eltern. Regenbogenfamilien wurden dabei oftmals als fast perfekte Familien inszeniert, bestehend aus glücklichen Kindern und Eltern. In zwei Artikeln wurde nur am Rande erwähnt, dass sich das gleichgeschlechtliche Paar getrennt hatte. Stigmatisierungs- und strukturelle Diskriminierungserfahrungen wurden hingegen emotional aufgeladen, so dass die Lesenden sich in die Situationen der Familien hineinversetzen und mitfühlen konnten. Durch das Portraitieren von spezifischen Familien sollte Empathie hervorgerufen und dafür gesorgt werden, dass sich die Lesenden mit den Personen identifizieren können. Obschon – oder gerade weil – die Regenbogenfamilien stark normalisiert wurden, enthielten die untersuchten Artikeln Begrifflichkeiten wie „anders“ und markierten diese somit als ausserhalb der heteronormativen, cis-geschlechtlichen Kernfamilie.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Regenbogenfamilien im Rahmen der Abstimmung „Ehe für alle“ in den Deutschschweizer Medien präsenter waren, sich diese zunehmende Sichtbarkeit jedoch hauptsächlich auf die Zeit vor der Abstimmung beschränkte. Zudem galt diese vermehrte Sichtbarkeit nicht allen LGBT*IQA+ Familienformen gleichermassen: Familien mit homosexuellen Elternpaaren standen stark im Fokus, während Familien mit trans* oder bisexuellen Eltern oder LGBT*IQA+ Co-Elternschaften deutlich weniger präsent waren. Eine Diskussion über Mehrelternschaft – wie sie aktuell beispielsweise in den Niederlanden oder Deutschland geführt wird – ist in der Schweiz auf politischer Ebene kaum denkbar und fand in den analysierten Artikeln auch nicht statt. Die Berichterstattung war zudem von einer Normalisierung geprägt, indem persönliche Geschichten bei den Lesenden für Empathie sorgen sollten und Unterschiede zur heteronormativen Vorstellung von Familie minimiert wurden. Gleichzeitig trug die Berichterstattung zur Reproduktion von normalisierenden Vorstellungen von Familie bei, nämlich der heterosexuellen, cis-geschlechtlichen Kleinfamilie.
Publikationsdatum:
17. Oktober 2023
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Elena Erni, Dr. Carole Ammann